Gastkommentar von BOKU-Altrektor Manfried Welan.

Mutig in die Zukunft der Stadtgestaltung gehen
Vom Gipfel des Leopoldsberges, schreibt der Boku-Landschaftsplaner Severin Hohensinner in “Wasser Stadt Wien – Eine Umweltgeschichte” (Zentrum für Umweltgeschichte, 2019), “kann man das Aufeinandertreffen dreier europäische Großlandschaften am besten betrachten”. Der Wienerwald, das nordöstliche Ende der Alpen, stößt an den Donaukorridor sowie das der pannonischen Tiefebene vorgelagerte Wiener Becken. Die Lage Wiens an der Schnittstelle so unterschiedlicher Landschaftsräume brachte, so Hohensinner, ein breites Spektrum an natürlichen Ressourcen. Franz Grillparzer sprach nicht von “Ökotonen”, wie man solche Übergangsbereiche in der Ökologie bezeichnet, sondern dichtete:

“Hast Du vom Kahlenberg
das Land dir rings beseh’n,

so wirst du was ich bin
und was ich schreib verstehen.”

Und:

“Nur wer vom Kahlenberg
das Land sich rings besehen,

wird was ich schrieb und
was ich bin, verstehen.”

Landschaft ist mehr als ein physischer Ort
Und sein Loblied auf Österreich aus “König Ottokars Glück und Ende” hat hunderte Male das Publikum begeistert, egal wer es vortrug. Ich hörte am liebsten Raoul Aslan und Josef Meinrad und finde das “Wo habt Ihr dessen gleichen schon gesehen . . .” wunderschön, auch wenn es Hans Weigl kritisiert hat.

Landschaft ist mehr als ein physischer Ort. Unsere Landschaftsarchitektinnen und -architekten von der BOKU verstehen Landschaft “als Ökosystem, als Lebensraum, als Kultur- und Gesellschaftsraum”. Landschaft kann, muss aber nicht grün sein. Es gibt Natur- und Stadtlandschaften, Mikro- und Makrolandschaften, Landschaften im ruralen Gebiet ebenso wie im urbanen, im besiedelten Raum wie im unbesiedelten. Wien war und ist meine Heimat. Anton Wildgans hat im Gedicht “Ich bin ein Kind der Stadt” meine Heimat unübertroffen geschildert:

“Ich bin ein Kind der Stadt –
die Leute meinen und spotten leichthin über unsereinen,
daß solch ein Stadtkind keine
Heimat hat.

In meine Spiele rauschten freilich keine Wälder.
Da schütterten die Pflastersteine.
Und bist mir doch ein Lied,
du liebe Stadt.

[. . .]

Und oft im Frühling, wenn ich
einsam gehe, lockt es mich heimlich raunend in die Nähe der Vorstadt,
wo noch meine Schule steht.

Da kann es sein, daß eine
Straßenkrümmung, die noch wie
damals ist, geweihte Stimmung in
mir erglühen macht wie ein Gebet.

Da ist ihr Laden, wo ich Heft
und Feder, den ersten Zirkel und
das erste Leder und all die neuen
Bücher eingekauft,

die Kirche da, wo ich zum ersten Male zur Beichte ging,
zum heiligen Abendmahle,
und dort der Park, in dem ich viel gerauft.”

Gesteigertes Bedürfnis der Massen nach Naturkontakt
Im Krieg wurde ich nach Grundlsee in der Steiermark evakuiert, das damals in “Oberdonau” lag, und lernte dort eine andere Landschaft kennen: das Tote Gebirge und den herrlichen See. Aber Grundlsee wurde nicht meine Heimat. Wohl aber habe ich mich in der Natur daheim gefühlt, die Schönheit der Landschaft begeisterte mich. Die Natur wurde zur großen Heimat, in der man sich überall zu Hause fühlen kann. Aber ich blieb ein Kind der Stadt und wurde kein Landkind.

Corona hat das Bedürfnis der Massen nach Naturkontakt gesteigert. Die Menschen wollen hinaus, ins Freie, und das Gefühl für Natur und Ruheräume ist gewachsen. Manche, vielleicht sogar viele haben gelernt, die Landschaften vor der Haustür mehr zu schätzen. Durch das Wandern wird man wieder wer.

Der Mensch braucht Landschaften, um zu wissen, wer er ist. Sie vermitteln Heimat, stiften Identität und Sinn, wie Raimund Rodewald, Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, schreibt. Die Wertschätzung der Landschaft basiere auf einer Art “Liebesbeziehung”, so Rodewald in einem kürzlich erschienen Interview mit der “Neuen Zürcher Zeitung”: “Es ist eine enge Beziehung, eine körperliche Berührung bis hin zur Erotik. Wenn die Ich-Du-Beziehung nach dem Religionsphilosophen Martin Buber zwischen dem Menschen und der Landschaft nicht die emotionale Berührung beinhaltet, ist es schwierig, rein rational für mehr Achtsamkeit, Respekt und Sorgfalt gegenüber der Natur und Umwelt zu argumentieren.”

Gefährliche Verschwendung und Verlust an Boden
Österreich hat wie die Schweiz ein Raumplanungsrecht als wichtigstes Instrument des Landschaftsschutzes. Aber wenn man in die Landschaft beider Länder schaut und die Zersiedelung und die Bausünden sieht, muss man leider feststellen, dass die hohen Ziele nicht erreicht wurden. Die Verschwendung und der Verlust an Boden haben gefährliche Ausmaße erreicht. Wo ist die “Bodenkultur” geblieben, die Jörg Mauthe und Günther Nenning im Mai 1984 in ihrem “Schönheitsmanifest” mit dem Titel “Ein Zeitalter geht zu Ende” angesprochen haben? Sie schrieben:

“Das schöne Land Österreich wird immer häßlicher. [. . .] Wir stellen traurig fest, daß das Schöne in keinem Parteiprogramm auch nur erwähnt wird. Das Schöne wie das Gute sind aber die beiden fundamentalen Maßstäbe allen menschlichen Tuns und Denkens. Die pausenlose Verhäßlichung unserer Welt ist ein Skandal. [. . .] Wir verlangen, daß Schönheit in ihre uralten Rechte wieder eingesetzt wird.”

Mauthe und Nenning gehen ab. Aber man sollte sie bei allen klimapolitischen Regungen und Bewegungen nicht vergessen.