Wien Simmering, März 2020. Erste Woche Corona Lockdown. Herr Huber, ein neuer Kunde, hat uns angerufen. Sein Computer streikt, ich soll ihn mir anschauen. Ich betrete Herrn Hubers Wohnung mit gutem Gewissen – IT-Dienstleistungen sind offiziell systemrelevant UND ich helfe jemandem. Ich bin also zweifach abgesichert, falls mich die Polizei aufhält – und ausgerüstet mit Maske und Hände-Desinfekt. Auf dem Weg ins Arbeitszimmer kommen wir am Badezimmer vorbei und was sehe ich da? 6 Packungen Klopapier. 

Ich denke mir zwei Dinge: 

Erstens: Dieser A…! Weil nämlich: Anzahl Klopapier-Rollen in der Wohnung von Herrn Huber: 60, in Worten: Sechzig! Anzahl der Personen in der Wohnung von Herrn Huber: 1. Anzahl der Personen in unserer Wohnung: 4. Anzahl der Klopapierrollen in unserer Wohnung: ebenfalls 4, wenn ich die grindige Notfall-Rolle in der Ausflugtasche mitrechne. 

Zweitens: Vielleicht sollte ich mich in Klopapier bezahlen lassen. Wenn der Kurs weiter so steigt? 

Warum Klopapier? In Frankreich war der Rotwein als Erstes aus! Da kann sich die Kulturnation Österreich nochmal ein Beispiel daran nehmen, Stichwort: Der Krise mit Stil entgegentreten. 

War das Verhalten von Herrn Huber jetzt g‘scheit? Oder g‘scheit deppad? Unmöglich, das zum damaligen Zeitpunkt mit Sicherheit zu sagen. Es wusste ja niemand, wie die Sache weitergehen wird. Wir können noch so überzeugt davon sein, dass diese oder jene Handlung im gegebenen Moment richtig und gut ist. Ob es tatsächlich so ist, wird die Zukunft weisen. Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht! Und das Licht der Zukunft scheint mit einiger Verzögerung. 

Seitdem sind knapp sechs Monate vergangen, und etliche Runden von Corona-Maßnahmen-Verkündungen und den jeweiligen Reaktionen darauf liegen hinter uns. Wer hatte da jetzt recht? Was war richtig, was war falsch? Ich maße mir an dieser Stelle keine rationale Bewertung an, weder der Maßnahmen, noch der Reaktionen, aber: 

Das Bauchgefühl, meine allererste Entscheidungshilfe, sagt mir, dass ich noch zwei Dinge loswerden muss: Erstens: Danke, Herr Gesundheitsminister! Können wir Sie klonen und eine Expertenregierung aus Ihnen machen? Zweitens: Die in meinen Augen beste Zusammenfassung über das, was Wissenschaft kann und was nicht, kam im Falter-Interview mit Mai Thi Nguyen-Kim (youtube: maiLab): „Wir irren uns nach vorne.“ Danke auch dafür! 

Herzliche Grüße, 

Herr Martin 

PS: Der Soundtrack zu dieser Kolumne: „My Sharona“ von The Knack 
PPS: Das Titelbild stammt aus der Feder von Sonja Polly. Sie ist Illustratorin, Grafikerin und Landschaftsarchitektin | sonja.polly@atelier59.at | instagram.com/salzdill.gurke).

Herr Martin ist Martin Niegl, der als Kolumnist im Printjournal zoll+ in jeder Ausgabe von seinen Erlebnissen berichtet. Herr Martin war schon Kinder- und Jugendgruppenleiter, Mathematik-Trainer, Musicalautor und -darsteller, Regieassistent, Inspizient und Verkehrsplaner. Seit 2019 ist er mit seiner Firma Happy Tree IT als IT-Consultant tätig. Herr Martin lebt und arbeitet in Wien. herrmartin@zollplus.org