Die Mobilität der Zukunft ist momentan noch eine diffuse Geschichte. Die Städte befinden sich mitten in einem großen Experiment und werden in rascher Abfolge mit innovativen Mobilitäts- angeboten und neuen Geschäftsideen konfrontiert. Durch die Klimaproteste und den Hitze- sommer im vergangenen Jahr hat die Diskussion einen neuen Spin bekommen. Die Prioritäten der städtischen Freiraumgestaltung sind im Umbruch. Sicher ist: Die Mobilitätswende wird in den Städten beginnen, und die Neudefinition des öffentlichen Raumes wird dabei eine wichtige Rolle spielen. VON GREGOR STRATIL-SAUER

Der Artikel ist erstmals im Fachjournal zoll+ Nr.36 erschienen. Das ganze Heft ist über das HAUS DER LANDSCHAFT und über das Bestellformular auf www.zollplus.org bestellbar.

Die autozentrierte Planung geht langsam ihrem Ende zu, denn das System Auto ist für die Stadtplanung, vor allem im innerstädtischen Bereich, schon lange mehr Problem als Lösung. In der neuen Smart City Rahmenstrategie der Stadt Wien wird neben den ambitionierten Modal Split-Zielen (im Jahr 2030: nur noch 15% aller Wege mit dem Auto) erstmals auch der Autobesitz thematisiert (vgl. Magistrat der Stadt Wien 2019: 67f). Bis zum Jahr 2030 sollen etwa 200.000 private Fahrzeuge weniger auf den Straßen Wiens stehen, das bedeutet ungefähr 1.000 km Parkspuren weniger. Nicht nur auf der strategischen Ebene, sondern auch bei der baulichen Umsetzung sind neue Lösungen mehrheitsfähig geworden. Begegnungszonen ohne Parkplätze werden sogar von der Wirtschaftskammer befürwortet und ein rascherer Ausbau gefordert. Baumpflanzungen sind endlich wichtiger als die Maximierung von Auto-Stellplätzen.

Wegbegleitende Spielmöglichkeiten, Wasserstellen auf der Straße, Mikrofreiräume – die Aufenthaltsqualität ist bei Straßenumbauten in Wien tatsächlich ein relevanter Planungsaspekt geworden. 
Obwohl es viele neue Spielräume gibt, sind große Teile der Stadt weiterhin durch abgestellte Autos geprägt. Das Besitzen eines Autos ist in der heutigen Gesellschaft immer noch der Normalfall und es sind die „Autolosen“, die ihr norm-abweichendes Verhalten rechtfertigen müssen. Befragungen deuten darauf hin, dass dieser gesellschaftliche Konsens bei jungen Generationen im Umbruch ist. Neue Mobilitätslösungen sollen Alternativen zum Autobesitz bieten. Nur welche der vielen aktuellen Trends können tatsächlich die Mobilitätswende bringen und was bedeutet das für den öffentlichen Raum? (Abb.1) 

Abb. 1: Immer noch sind viele Straßen vor allem Parkplätze, Foto:  Gregor Stratil-Sauer 

E-Mobilität 

Der mit fossiler Energie angetriebene Pkw hat tatsächlich in einigen Städten und Staaten bereits ein Ablaufdatum. Als Alternative ist bis heute nur der batterieelektrische Antrieb marktreif. Andere Antriebsformen für Pkw wie Wasserstoff sind in der Entwicklung noch viele Jahre zurück. Betrachtet man das Gesamtsystem inklusive Batterieerzeugung und Platzverbrauch, ist die Elektrifizierung des städtischen Autoverkehrs keine nachhaltige Lösung.  Auch wenn die SUV-Verkaufszahlen etwas anderes vermuten lassen: ab dem Jahr 2020 gelten für die Autoindustrie in der EU Flottenverbrauchsziele, die ohne einen relevanten Anteil echter E-Fahrzeuge kaum erreichbar sind (vgl. BMU 2020). Inzwischen sind die Fabriken gebaut, die E-Autos entwickelt und sie laufen in den nächsten Monaten vom Band.  Die E-Mobilität ist aber nicht nur für den privaten Pkw ein aktuelles Thema. Für alle Fahrzeuganschaffungen der öffentlichen Hand werden ab dem Jahr 2021 herkömmliche Antriebssysteme kaum mehr zugelassen (vgl. European Commission 2020).

Da diese Regelung auch für den öffentlichen Verkehr gilt, wird es sehr bald mehr E-Fahrzeuge in der Stadt geben. Speziell das Laden von Batterien am Straßenrand ist die widersprüchlichste Anforderung der E-Mobilität, mit der sich die Städte in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen müssen. 

Die 1.000 Ladestellen auf Wiener Straßen, die derzeit von Wien Energie errichtet werden, sind ein Signal, dass die Stadt nicht untätig ist (vgl. Stadt Wien 2018). E-Ladesäulen und Kabelsalat am Gehsteig sind aber eindeutig nicht die zukunftsträchtige Systemlösung. Die Wiener E-Mobilitätsstrategie hat für das Laden privater E-Fahrzeuge festgelegt, dass der Platzbedarf dafür außerhalb des öffentlichen Raumes zu finden ist (vgl. Magistrat der Stadt Wien 2016). Zumindest der öffentliche Verkehr wird bald viele gut erreichbare Ladestationen brauchen, und wahrscheinlich werden auch E-Taxis, andere Fahrtdienste und Kleinlogistikfahrzeuge Platz zum Laden im öffentlichen Raum fordern. (Abb. 2) 

Abb. 2: TIM-Graz. E-Carsharing hängt am langen Kabel im Straßenraum, Foto: Gregor Stratil-Sauer  

Carsharing 

„Nutzen statt Besitzen“ – nicht das Verkaufen, sondern die Nutzung der Autos ist das Geschäftsmodell von Carsharing. Freefloating-Carsharing wie Car2go in Wien ist ein gutes Beispiel für eine innovative Lösung, die auf Digitalisierung und jugendliches Image setzt. Nach 10 Jahren Experimentieren mit neuen Carsharing-Modellen ist die Ernüchterung allerdings groß. Carsharing bringt die erwünschte Wirkung für die Stadt bisher nur in geringem Ausmaß. Ein gewinnbringendes Geschäftsmodell für die Unternehmen ist nicht absehbar, denn große Flotten mit mehreren tausend Fahrzeugen gibt es noch nicht. Der Zusammenschluss vieler neuer Mobilitätsdienste von Daimler und BMW zu ShareNow zeigt einen Weg, wie die europäische Autoindustrie im globalen Wettbewerb bestehen will.Stationsbasiertes Carsharing kann nachweislich den Autobesitz reduzieren. Studienergebnisse gehen von 5 bis 20 ersetzten Privatautos pro Carsharing-Auto aus.

Doch Geld verdienen lässt sich mit dem Angebot von klassischem Carsharing nicht. Mühsame Verhandlungen für jeden neuen Standort, hohe Fixkosten und ein großer Wartungsbedarf erfordern viel Aufwand. Da heute auch E-Fahrzeuge und Ladeinfrastruktur gefragt sind, ist das klassische Carsharing ohne Zuschuss der öffentlichen Hand nicht zu betreiben. In Wien konnte sich nach dem Rückzug von Zipcar im Jahr 2017 kein großer kommerzieller Anbieter etablieren.  

Es liegt an den Städten zu bestimmen, ob und unter welchen Rahmenbedingungen sie Carsharing wollen. Dafür müssen sie die Strukturen und den Organisationsrahmen schaffen. Eines ist allerdings klar: Solange privates Autobesitzen und Parken im öffentlichen Raum so dominant und billig bleibt wie bisher, wird Carsharing keine große Lösung werden, sondern ein Nischenprodukt bleiben. 

Bikesharing 

Stationsbasierte Fahrradverleihsysteme sind seit 15 Jahren weltweit in den Städten zu finden. Es gibt zuverlässige Betreiber und die Wirkung von Bikesharing ist bereits gut erforscht. Mittlerweile ist klar, dass der beträchtliche Platzbedarf der Leihfahrrad-Stationen gut investiert ist. Leihfahrräder können den Fahrradanteil in der Stadt deutlich steigern und sind eine Ergänzung zum öffentlichen Verkehr. Auch in Wien ist eine Modernisierung und Verdichtung des Citybike-Systems beabsichtigt. Stationsbasierte Systeme sind wegen der kalkulierbaren Auswirkungen auf den öffentlichen Raum gegenüber freefloating-Systemen im Vorteil.

Die europaweite „Invasion“ durch Leihfahrräder von asiatischen Bikesharing-Anbietern im Jahr 2017 hat gezeigt, dass die öffentliche Verwaltung der Dynamik neuer Mobilitätslösungen machtlos gegenübersteht. Was sind die neuen Fahrzeuge überhaupt? Welche Behörde ist zuständig? Welche Gesetze gelten? Welche Regelungen sind zu ändern? Bis diese Fragen geklärt und Gesetzesänderungen im demokratischen Konsens vollzogen wurden, verging viel Zeit. Daher konnte in Wien die „ortspolizeiliche Verordnung“ zur Regelung der Abstellsituation der Leihfahrräder erst gültig werden, als die Anbieter der Räder bereits bankrott und nicht mehr greifbar waren (vgl. Mobilitätsagentur 2018). (Abb. 3) 

Abb. 3: Die Verbreitung von Sharing-Fahrzeugen in europäischen Städten ist sehr unterschiedlich (Trottinett (CH) = E-Scooter; aus Auf der Maur et al. 2019)

E-Scooter 

Derzeit beschäftigt E-Scooter-Sharing die Städte. Da die E-Scooter hautsächlich auf Gehsteigen abgestellt werden, sind sie im Stadtbild unübersehbar. Das Geschäftsmodell wurde im Juni 2017 in Kalifornien erfunden und im Jahr 2018 starteten die ersten Verleihsysteme in Europa. Die rasche weltweite Ausbreitung ist eine der schnellsten Expansionen in der Wirtschaftsgeschichte: Monatlich gibt es neue Betreiberfirmen, lokale Start-ups werden aufgekauft oder schließen sich zusammen, die angebotenen Fahrzeuge werden ständig weiterentwickelt, Markennamen und Geschäftsmodelle ändern sich und globale Player entstehen.  

Scooter kaum abzuschätzen. Von der Öffentlichkeit wird ein hoher Erwartungsdruck aufgebaut, dass die Politik etwas tun muss. Regeln, verbieten oder konzessionieren. Nur abwarten, ob sich die Sache ganz von selbst erledigt (was ja durchaus möglich wäre), ist keine Option. Derzeit basieren viele Kooperationen mit den neuen Unternehmen auf unverbindlichen Vereinbarungen. Für die Verwaltung ist dieser Kommunikationsform eine neue Herausforderung. Langfristig werden verbindliche Regeln für das Abstellen am Gehsteig, mehr Abstellflächen außerhalb der Gehsteige und Verhaltensregeln fürs Fahren und Abstellen notwendig sein. Dafür braucht nicht nur die Verwaltung, sondern auch die Gesellschaft ihre Zeit. (Abb. 4) 

Abb. 4: WienMobil Stationen sollen Angebote bündeln, Foto:  Gregor Stratil-Sauer 

Und alles was sonst noch kommt braucht Platz 

Fahrdienste wie Uber, E-Scooter, E-Mopeds, Mobilitätsstationen – neue Mobilitätslösungen brauchen Platz im öffentlichen Raum und dafür sind Regelungen notwendig. Abgestellte Fahrzeuge sind im öffentlichen Raum sichtbar und führen zu Nutzungskonflikten. Mietwagen nehmen ihre Fahrgäste irgendwo auf, achtlos abgestellte E-Scooter verstellen Wege und Blindenleitsysteme. 

Der Gütertransport wird in den Städten auf den menschlichen Maßstab gebracht werden müssen. E-Transporter und (E-)Lastenfahrräder zeigen bereits heute, was sie können. Was fehlt ist der gesetzliche Rahmen, der große Lkws aus den Wohngebieten fernhält und Umschlagplätze (Midi- und Microhubs, idealerweise betreiberneutral) wirklich markttauglich macht. Auch hier kommen neue Herausforderungen für den öffentlichen Raum. 

Was bleibt also? 

Trotz vieler innovativer Angeboten wird der klassische Umweltverbund (Öffentlicher Verkehr, Zu Fuß Gehen und Radfahren) noch lange Zeit den Großteil der Wege in der Stadt abdecken. Öffentlicher Verkehr ist das Rückgrat der nachhaltigen, kompakten Stadt. Alle neuen Services, die gut mit dem öffentlichen Verkehr zu kombinieren sind und eine Alternative zum Autobesitz schaffen, sind ein Gewinn für die Stadt der Zukunft. 

Nahmobilität ermöglicht einen selbstbestimmten Alltag, am besten ohne Abhängigkeit von motorbetriebenen Fahrzeugen. Die FußgängerInnenstadt ist und bleibt der Idealzustand (vgl. Citylab 2020). Fahrradgerechte Stadtstrukturen ermöglichen größere Reichweiten ohne den menschlichen Maßstab der Umgebung und des Grätzels zu sprengen.  

Ideen für den öffentlichen Raum sind gefragt 

Neue Mobilitätslösungen beanspruchen Platz im Straßenraum und für diese neuen Anforderungen müssen erst mühsam dauerhafte Regeln und Organisationsformen gefunden werden. Doch bevor zu schnell der „Alles Verbieten“-Reflex zuschlägt:  

„There’s an elephant in the room. Shared e-scooters and e-bikes are being blamed and shamed as a source of hazard and inconvenience, but they’ve just laid bare a century old problem.“ (POLIS 2019:  12)  

In einer Stadt, in der ca. 400.000 geparkte Autos andere Nutzungen im öffentlichen Raum blockieren, sollen 1.000 Carsharingplätze oder 10.000 Kleinfahrzeuge tatsächlich das Problem sein? Neue Lösungen brauchen eine Chance zu zeigen, ob sie sich zu einer sinnvollen Ergänzung des städtischen Mobilitätsmix ohne Autobesitz entwickeln können. 

Die vielen privaten Autos, die tagelang unberührt am Straßenrand stehen,  könnten bald schneller verschwinden, als es heute für möglich gehalten wird. Mit dem Hitzesommer 2019 wurden Klimawandelanpassung und Nutzung des öffentlichen Raumes in Wien zu gesellschaftlich relevanten Themen. Der Kampf um den Parkplatz ist nicht mehr die einzig mehrheitsfähige Betrachtungsebene des städtischen Freiraums. Flächen für Aufenthalt, Beschattung, Kühlung,  Renaturierung oder nur zum Wohlfühlen sind dringend gefragt. Straßenbaumoffensive, Coole Straßen und Begegnungszonen sind die aktuellen Programme der Stadt Wien dazu. 

Es bleiben nur noch wenige Jahre Zeit, um zu zeigen, wie die Stadt der Zukunft mit einem nachhaltigen Mobilitätssystem und klimawandelangepasst ausschauen kann. Eine großer Arbeitsauftrag für  FreiraumplanerInnen, die endlich ihre Kompetenzen selbstbewusst in den Mittelpunkt des Diskurses um den öffentlichen Raum in der Stadt stellen können. 


Kurzbiografie des Autoren:

DI Gregor Stratil-Sauer studierte Landschaftsplanung an der BOKU Wien. Er ist bei der Stadt Wien, MA 18 Referat Mobilitätsstrategien beschäftig und für die langfristige öffentliche Verkehrsplanung und neue Mobilitätsangebote zuständig.  


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