Die Bundeshauptstadt Wien hat seit Ende 2020 einen neuen Umweltstadtrat, der neuerdings auch für Klima und Demokratie-Fragen verantwortlich ist. Wie Stadtrat JÜRGEN CZERNOHORSZKY diese Zusammenlegung von Inhalten für die Schaffung einer sozialen Klima-Musterstadt nützen möchte und ob sich seine Pläne auch auf die Verfügbarkeit und Qualität von Grünanlagen in der Stadt auswirken werden, das haben die zoll+ Redakteurinnen ANGIE WEIKMANN und STEPHANIE DRLIK den Politiker – damals coronabedingt online – gefragt.

Dieser Beitrag ist erstmalig im Juni 2021 in der Ausgabe von zoll+ Nummer 38/Juni 2021 erschienen.

zoll+: Herr Czernohorszky, Sie sind seit einigen Monaten amtsführender Stadtrat für Klima, Umwelt, Demokratie und Personal. Wir gratulieren zu dieser neuen Aufgabe! Im Ressort gab es eine neue Zusammenführung von Zuständigkeiten. Die Verbindungen zwischen Umwelt und Klima liegen auf der Hand, gerade in Bezug auf den Klimaschutz. Die Klimawandelanpassung ist jedoch eine sehr planungsrelevante Aufgabe. Daher gleich zu Beginn die Grundsatzfrage:
Wäre das Klima nicht besser im Planungsressort aufgehoben?

Jürgen Czernohorszky: Ich denke, Klimaschutz ist nicht nur eine Querschnittsmaterie, sondern erfordert auch das Zusammenspiel aller Bereiche in unserer Stadt: Das reicht von der Stadtplanung über die öffentliche Mobilität, den Baubereich, den Energiesektor bis hin zur Grünraumplanung. Einiges davon ist direkt in meinem Ressort angesiedelt, vieles werde ich aber in Kooperation mit meinen Regierungskolleg*innen angehen. Wir schaffen dafür auch neue Tools wie das Klimabudget, den Klimacheck oder das Klimagesetz.

zoll+: Noch eine Grundsatzfrage: Sie haben sich als einen Ihrer ersten Medien-Termine ein Treffen mit der „Fridays For Future“-Bewegung ausgesucht. Für alle Menschen, denen Klimaschutz bislang zu wenig weit reicht: Können wir das frühe Treffen mit Vertreter*innen der Klima-Bewegung als symbolisches Zeichen werten, dass Sie Klimaschutz in Ihrem Ressort vorrangig behandeln werden?

JC: Es war und ist mehr als Symbolik, es ist das ehrliche Bekenntnis, in Sachen Klimaschutz an einem Strang zu ziehen! Denn die große Herausforderung, die Klimakrise zu bekämpfen, können wir nur zusammen meistern. Meine Unterstützung gilt allen, die sich in unserer Stadt dafür einsetzen!

zoll+: Grün- und Freiräume einer Stadt sind eng mit Bürger*innenrechten verknüpft, Stichwort „Nutzung des öffentlichen (Grün-) Raumes und Grünraumgerechtigkeit“, also die faire Verteilung von Grün- und Freiräumen in der Stadt. Wie gehören für Sie, als Stadtrat für Umwelt und Demokratie, diese beiden Aufgaben zusammen?

JC: Eines ist für mich ganz klar: Ich will Klimapolitik mit den Wienerinnen und Wienern machen! Die Lebensqualität muss für alle Wiener*innen steigen und nicht bloß für jene, die sich diese Lebensqualität sowieso kaufen können. Daran mochte ich gemeinsam mit den Wienerinnen und Wienern arbeiten. Mein Ressort verbindet nicht zufällig zwei zentrale Themen unserer Zeit: Klima und Demokratie. Klimaschutz ist unser aller gemeinsames Anliegen. Daher werde ich stark auf die Beteiligung der Wienerinnen und Wiener setzen. In den Grätzeln, Schulen und Gemeindebauten. Von den Kindergartenkindern bis zu unseren Altesten! Die Einbindung der Bevölkerung ist mir besonders wichtig, sie passiert – aber nicht nur – über den Wiener Klimarat. Da wird auch noch viel Neues kommen: vom partizipativen Budget bis hin zu Co-Creation-Prozessen in der Planung von Projekten. Diesen Zugang leben wir auch bei all unseren Parkgestaltungen: Durch Beteiligungsprojekte haben Anrainer*innen die Möglichkeit, ihren unmittelbaren grünen Lebensraum mitzugestalten. In Zukunft werden wir bei jedem Park, den wir neu gestalten, Bürgerinnen und Burger in die Planung miteinbeziehen. Denn sie sind es auch, die am meisten von der Erholung und der Vielfalt, die unsere Parks bieten, profitieren sollen!

zoll+: Wie haben Sie die Schließungen und vor allem das Geschlossenhalten der Wiener Bundesgärten während des ersten Corona-Lockdowns empfunden? Die Zuständigkeit lag im Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, die Wiener Parks waren mit Einschränkungen, etwa den Spielplätzen, durchgehend öffentlich zugänglich.

JC: Eines muss klar sein: Grünflächen sind gerade in der Corona-Zeit enorm wichtige Erholungsraume für die Bevölkerung. Deshalb haben wir die Schließung der Bundesgarten auch immer scharf kritisiert und sind im Gegenzug mit der Winter-Öffnung des Lainzer Tiergartens ganz bewusst einen anderen Weg gegangen. Und natürlich ist in einer wachsenden Stadt der Ausbau von Grünflächen ein wesentliches Zukunftsthema: Bis 2022 wollen wir 400.000 Quadratmeter Grün an ganz unterschiedlichen Stellen schaffen.

zoll+: Sie planen also 400.000 m² neue Grünflächen für Wien. Das ist sehr begrüßenswert, aber welche Flächen werden dafür frei gemacht? Werden etwa versiegelte Flächen dafür entsiegelt? Die Initiative WESTBAHNPARK rechnet vor, dass ein Park am Areal der Westbahngleise 70.000 m² groß sein könnte, das wäre ja schon ein schöner Anteil von 400.000 m²!

JC: Wiens hohe Lebensqualität hangt ganz wesentlich mit dem hohen Grünanteil zusammen und genauso wie eine funktionierende Wasserversorgung sind attraktive Grünflächen ein wichtiger Teil der Daseinsvorsorge. Allein in den nächsten fünf Jahren schaffen wir deshalb die genannten 400.000 m2 durch neue Parkflachen, das sind um 80.000 m2 mehr als in den vergangenen zehn Jahren! Für die Hälfte der neuen Parkanlagen wird schon heuer – 2021 – der Grundstein gelegt. Eines davon ist das Projekt Freie Mitteim Stadterweiterungsgebiet Nordbahnhof – und das wird ein Park der besonderen Art: Mit 93.000 m2 an Grünraum entsteht hier erstmals eine Stadtwildnis. Das Areal der „Freien Mitte“ ist schon jetzt Lebensraum für mehrere geschützte Arten, wie zum Beispiel für Wechselkröten und Zauneidechsen, und das soll auch so bleiben. Es geht uns darum, auch das innerstädtische Grün so zu gestalten, dass es für den Klimawandel gut gerüstet ist, denn je mehr Vielfalt in unseren Wiesen, desto besser fürs Klima. Durch die Verdichtung der Bebauung am Rand konnte der Freiraumanteil für die zukünftige Parkflache verdoppelt werden. Dabei wird auch besonderes Augenmerk auf die Topografie des Bestands gelegt, so entstehen markante Gstätten rund um bestehende Objekte wie Gleisteile und andere Bahnrelikte. Gleichzeitig entstehen natürlich neue Spiel- und Erlebnis- sowie Sport- und Freizeitflächen, Hundezonen, Wasserspiele u. v. m. Das Wegenetz ermöglicht eine Erkundung der Stadtwildnis und verschiedene Ausblicke auf die Vielfalt der Grünanlage. Die Herstellung der „Freien Mitte“ erfolgt in Etappen, die Stadtwildnis können wir voraussichtlich bis Ende 2021 eröffnen – ein wichtiges und wegweisendes Projekt, das zeigt, wie kreativ und innovativ Grünraum in einer Stadt gestaltet werden kann!

zoll+: Dabei berücksichtigen Sie hoffentlich auch eine zunehmend faire Verteilung. Denn in der Stadt Wien, mit einem Grünanteil von etwa 50 Prozent, ist der Grünraum leider nicht gerecht verteilt. Am Stadtrand gibt es viel Grün, innerhalb des Gürtels gibt es Bezirke mit einem Grünanteil von unter zwei Prozent der Bezirksfläche. Das führt zu einer sozialen Ungleichstellung der Bewohner*innen. Man denke an den Klimawandel und seine Sommerextreme. Wohlhabende Menschen haben das kühlende Grün häufig direkt hinter Haus oder Wohnungstür oder fahren zum Häuschen ins Grüne oder auf Urlaub, wenn es in der Stadt zu heiß wird. Menschen aus sozial schwächeren Bevölkerungsschichten leiden vor Ort in ihren überhitzten Stadtteilen – auch mit gesundheitlichen Folgen. Was können Sie dem in Ihrem Wirkungsbereich entgegenhalten?

JC: Mein erklärtes Ziel ist, dass Wien eine soziale Klima-Musterstadt wird. Das bedeutet, dass wir unsere Parks, Walder, Wiesen und Gewässer erhalten und so ausbauen müssen, dass sie allen Menschen als Erholungs- und Lebensraum zuganglich sind. Auch jenen, die keinen eigenen großen Garten haben – sie sollen das nächste Grün in maximal 15 Minuten erreichen können! Im Kampf gegen den Klimawandel und die Hitze braucht es aber noch mehr Grün, mehr Parks, mehr Garten, mehr kühle Gassen und Straßen, mehr Fassaden- und Dachbegrünungen, auch mehr Landwirtschaft in der Stadt. Genau deshalb setzen wir gerade jetzt eine Initiative für mehr Grün in allen Bezirken um, gemeinsam mit Stadträtin Ulli Sima: Und zwar mit dem 100 Mio. Euro schweren Förderprogramm „Lebenswerte Klimamusterstadt“. Bis 2025 stehen dabei pro Jahr 20 Mio. Euro für Projekte der Bezirke im Kampf gegen den Klimawandel und dessen Folgen zur Verfügung. Gefordert werden Projekte im Rahmen der Umgestaltung des öffentlichen Raums – von der Entsiegelung von Flachen und den Pflanzungen von Baumen über die Attraktivierung von Platzen mit Cooling Spots bis hin zu Wasserspielen, Trinkbrunnen und Nebelduschen in Parks. Das ist gerade in dicht verbauten Gebieten wichtig!

zoll+: Ein wichtiger Aspekt des Klima- und Umweltschutzes ist der sparsame Umgang mit der Ressource Boden. Die Stadtentwicklung verschlingt jedoch Grünflächen, etwa in den neuen Wohnquartieren am Stadtrand. Nun sind Sie nicht Planungsstadtrat und doch betrifft Sie als Umweltstadtrat dieser Bereich. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass in neu zu errichtenden Stadtentwicklungsprojekten sparsamer mit der Versiegelung von Flächen, insbesondere für den Kfz-Verkehr, umgegangen wird? Und etwa ein verpflichtender Klimacheck für Neubauprojekte in der Planungsphase eingeführt wird?

JC: Selbstverständlich müssen in einer Millionenstadt viele Interessen unter einen Hut gebracht werden. Das Thema „Wohnraum“ spielt dabei natürlich eine wichtige Rolle – viele zusammenhangende große Stadtteile sind derzeit im Entstehen. Und gerade da bietet sich die große Chance, große Grünflächen gleich mitzuplanen und den Boden erst gar nicht zu versiegeln. Neben der schon erwähnten „Freien Mitte“ entsteht beispielsweise auch in der Seestadt Aspern der Elinor-Ostrom-Park, der 28.000 m2 Grün-, Spiel-, Bewegungs- und Erholungsflachen bieten wird. In der Mitte des Parks entsteht außerdem eine Multifunktionsflache für Markte, Konzerte oder Feste. Der Nordbereich des Parks lasst alle Kletter- und Street-Work-out-Herzen mit einem Motorik-Parkour höherschlagen. Damit ist es aber noch nicht getan: Der Fahrradspielplatz ist ein absolutes Novum und für die Bewohnerinnen und Bewohner der Seestadt ein Highlight. Mit dem Klimacheck, der derzeit in Ausarbeitung ist, wollen wir künftig Vorhaben, die Auswirkungen auf das Klima haben, einem Check unterziehen und, wenn notwendig, Änderungen anregen, um ein Projekt klimafit zu machen.

zoll+: Sehr geehrter Herr Stadtrat, wir danken für die Beantwortung unserer Fragen und freuen uns auf ein Live-Interview in Post-Corona-Zeiten!