Maßlos viele Einkaufszentren mit riesigen Parkplätzen so weit das Auge reicht. Ein Straßennetz, das sich endlos durch die Natur schlängelt. Gewerbeparks, die das Landschaftsbild
trostlos und grau aussehen lassen und immer gibt es noch zahlreiche Bauvorhaben. All das ist in Österreich schonungslose Realität, obwohl Österreich beim Straßennetz und bei den Supermarktflächen führend in Europa ist. Gastkommentar von KURT WEINBERGER, erstmals erschienen in zoll+ maßlos (39/2021)

Faktum ist: Österreich ist beim Bodenverbrauch Europameister – allerdings im negativen Sinn. Täglich werden hierzulande Äcker und Wiesen im Ausmaß von 11,5 Hektar pro Tag (!) für den Bau von Straßen, Supermärkten und Immobilien zubetoniert. Das entspricht der Größenordnung
von 16 Fußballfeldern. Dabei haben wir europaweit das dichteste Straßennetz (15 m/Kopf ), die höchste Supermarktfläche (1,67 m2/Kopf ) und 40.000 Hektar leer stehende Immobilien. In Wahrheit entspricht dieser Leerstand in Österreich aber genau der Fläche der Stadt Wien und dennoch wird maßlos weitergebaut und die Natur durch Verbauung täglich zerstört. Wir treten also unser Wunderwerk „Boden“ regelrecht mit den Füßen.

Es geht beim Bodenschutz aber auch um Klimaschutz! Der Umgang mit unseren Ressourcen
Boden, Luft und Wasser muss uns zu denken geben, denn unverbauter Boden gibt Menschen,
Tieren und Pflanzen Lebensraum. Wenn wir jedoch so weitermachen, haben wir in 200 Jahren keine Äcker und Wiesen mehr für die Produktion heimischer Lebensmittel, denn durch den Bodenverbrauch werden wertvolle Agrarflächen für immer aus der Produktion genommen. Aufgrund der Zubetonierung werden Wetterextreme weiter zunehmen, da wir durch die Verbauung CO2- und Wasserspeicher verlieren. Die Erderwärmung wird beschleunigt und Überschwemmungsschäden nehmen zu, weil das Wasser bei Starkniederschlägen nicht mehr
abfließen kann. Zusätzlich entzieht uns fehlender Boden die Grundlage für die Lebensmittelproduktion. Österreich hat beim Brotgetreide bereits jetzt nur mehr einen Selbstversorgungsgrad von 85 Prozent, während es bei Kartoffeln 80 Prozent, bei Gemüse 55 Prozent, bei Obst nur mehr 45 Prozent und bei Soja 20 Prozent sind. Von Beton können wir aber nicht abbeißen! Mit dem Bodenverbrauch wird der systemrelevanten Landwirtschaft Tag für Tag ein Teil der Produktionsgrundlage entzogen. Wir werden zunehmend von Lebensmittelimporten abhängig. Der Verlust der Ernährungssouveränität macht uns sehr verletzbar.

Die Corona-Krise hat uns gezeigt, was es bedeutet, wenn die Grenzen geschlossen sind, die Flugzeuge am Boden und die Schiffe in den Häfen bleiben. Wie sehr der Klimawandel durch den Wegfall des Bodens als Kohlenstoffspeicher angeheizt wird, spüren besonders die Menschen im städtischen Bereich durch den sogenannten „urban heat island effect“. Es ist durch Asphalt und Beton in der Stadt wärmer als am Land. Wir müssen umdenken! Das Naturkapital Boden und die Ressourcen Luft und Wasser müssen als eigene Kennzahl in der Berechnung des
Bruttoinlandsproduktes Berücksichtigung finden. Es muss bewusst werden, dass Boden kein vermehrbares Gut ist.

Noch eine Folge dieser ungeordneten Raumentwicklung: Wir verschandeln zunehmend unser Land, was für den Tourismus deutlich negative Auswirkungen haben wird. Laut einer MARKET-Umfrage möchten acht von zehn befragten Österreicherinnen und Österreichern keine rasant fortschreitende Verbauung des Landes mehr. Vier von fünf Befragten sprechen sich für gesetzliche Beschränkungen aus und fordern in dem Zusammenhang einen Stopp des Bodenverbrauchs! Die Bevölkerung ist also schon sehr sensibilisiert.

Die Situation rund um den Bodenverbrauch ist aber nicht aussichtslos. Positiv ist, dass ein Zielwert der täglichen Verbauung von maximal 2,5 Hektar pro Tag im jetzigen Regierungsübereinkommen festgeschrieben ist. Für die Bodenschutzstrategie des Bundes, die für das Frühjahr 2022 avisiert ist, müssen Maßnahmen nicht erst entwickelt werden, um den Zielwert von 2,5 Hektar pro Tag zu erreichen. So muss etwa der Leerstand wieder in Nutzung gebracht werden. Zur Revitalisierung leer stehender Immobilien brauchen wir aber monetäre Anreizsysteme, damit es attraktiv wird, zu sanieren anstatt neu zu betonieren. Wenn wir den Bodenverbrauch nachhaltig reduzieren wollen, wird aber eine einzelne Maßnahme nicht ausreichen. Wir werden ein ganzes Maßnahmenbündel brauchen. Dazu gehören die Nutzung des Leerstandes ebenso wie die Innenentwicklung von Städten und Ortskernen und ein vermehrtes Bauen in die Höhe und in die Tiefe. Unbestritten ist auch die Notwendigkeit einer Diskussion über eine flächenschonendere und wirksamere übergeordnete Raumordnung bei den jeweiligen Ämtern der Landesregierungen. Ebenfalls sollten besonders wertvolle Agrarflächen gesetzlich unter Schutz gestellt werden wie in der Schweiz. Auch die Kommunalsteuer auf Gemeindeebene steuert falsch. Gemeinden mit hoher Flächenverbauung
verdienen im Moment durch die Kommunalsteuer deutlich mehr Geld als jene, die unsere Umwelt schonen und weniger Boden verbrauchen. Hier muss es einen Ausgleich geben. So sollte die Kommunalsteuer auf Bundesebene eingehoben werden. Bürgermeisterinnen und Gemeinderätinnen stehen ja vielfach im Interessenkonflikt, wenn es um die Ansiedelung von Einwohnerinnen und Einwohnern sowie Gewerbezentren geht.

All dies sind Maßnahmen, die nicht erst neu entwickelt werden müssen. Was jedoch erforderlich ist, ist, dieses Maßnahmenbündel rasch umzusetzen. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie unser schönes Land zu einer trostlosen und grauen Betonwüste wird. Bei der
Corona-Pandemie hat es einen globalen Schulterschluss gegeben. Nutzen wir das auch für den
Klima- und Bodenschutz und zum Wohle unserer Kinder und Kindeskinder. Damit sie in der Bundeshymne nicht einmal singen müssen: „Land ohne Äcker – zukunftslos“, sondern dass es weiterhin lautet: „Österreich, ein Land der Äcker – zukunftsreich!“

Dr. Kurt Weinberger ist seit 1996 im Vorstand und seit 2002 Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung. Als Finanzmanager, der aus der Wirtschaft kommt und ständig mit Naturkatastrophen konfrontiert ist, hat Dr. Kurt Weinberger keine Berührungsängste mit dem Wort „Nachhaltigkeit“. Im Gegenteil: Ökologische, ökonomische und soziale Interessen – vernünftig eingesetzt – ergänzen sich. Dr. Kurt Weinberger ist auch stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der ÖBB-Holding und Vorsitzender des Universitätsrats der Universität für Bodenkultur Wien, der Nachhaltigkeitsuniversität.

Titelbild: Täglich wird produktiver Boden durch Verbauung zerstört. © ÖHV