Isabel Stumfol spielt im Selbstversuch „Sneaky Cards 2“, ein Spiel aus 54 Karten, jede bedruckt mit einer anderen Mission. Alle Menschen sind Mitspieler*innen, die Welt das Spielbrett. Nach Erfüllung der Mission wird die gespielte Karte weitergegeben. Wenn man sie mit dem QR Code trackt und die anderen das auch machen, sieht man online, wo die Karte ist und schon überall war. 

Finster ist es und ganz still. Schnell stecke ich die Karte in ihren Schuh. Nehme sie wieder heraus. Küsse sie. Stecke sie wieder in den Schuh. Streichle ihn zärtlich. Merke die Tränen in mir aufsteigen und fühle mich gleichzeitig wie eine Geheimagentin, die eine große Mission erfüllt. Das war Karte 6 und meine Welt bereits verwandelt. Verwandelt in eine große Spielfläche. Und ich das, was hinten auf der Spielschachtel draufsteht: „Become an agent of joy, spreading creativitiy and kindness to an unsuspecting public”. Karte 1 spiele ich am 14. Februar. Damals gab es auch Tränen. Und mir wurde schlagartig wieder bewusst, welche Power das hat. Das Herzeigen von Wertschätzung und Gefühlen mit kleinen Gesten und Geschenken. Damals war noch vor Corona in Wien. 

“Make someones day better with flowers” steht auf Karte 1. Also übergebe ich sieben gelbe Margeriten an meine liebe Kollegin (Abb. 1, optional). Herzklopfen bei mir. Herzklopfen bei ihr. Tränen, weil sie eine schreckliche Arbeitswoche hatte und sich über meine Aufmunterung so freute. Heute sind wir Freundinnen. Wahrscheinlich waren wir es davor auch schon. 

Karte 2 verstecke ich auf dem Schreibtisch vom Hartmut. Er versteckt sie mir zurück. Dann findet sie der Elias unter der Maus. Jetzt wartet sie wieder aufs Gefundenwerden. Ich seh‘ es online. Eine wahre, wertschätzende Google-Bewertung schreibe ich bei Karte 3. Für meine Lieblingsbäckerei in der Kalvarienberggasse. Drei Wochen später sperrt sie für immer zu. 

Karte 4 lässt mich nur in Fragen reden. Karte 5 verstecke ich in einem Kühlschrank bei Ikea. Karte 7 bekommt mein Exfreund, weil er größer ist als ich. Karte 8 die Lisa, weil ihr Name mit L beginnt und meiner damit aufhört. Karte 9 findet der Christoph in einem Magazin. Eh klar, weil er Journalist ist. Karte 10 bekommt der Jonas in Bayern, weil er „Yes – to a new Adventure“ gesagt hat und uns Autostopper*innen nach Weyarn mitgenommen haben. Bei Karte 11 freut sich mein Bald-Freund über einen Blumenstock. Bei Karte 12 der Herbert über seine Surprise-Büro-Geburtstags-Feier. Bei Karte 13 wünschen Philippe und ich uns, dass das mit Corona nicht so schlimm wird. Einen Tag später gehen wir ins Home-Office.  

Ich mag an dem Spiel, dass es eine Lockerheit in diesen Weltalltag bringt, dass ich zu einer Agentin werde und die Menschen um mich rum zu Missions-ErfüllerInnen. Bis sie dann selbst AgentInnen sind. Ich mag, dass ich Momente gestempelt hab. Nicht nur mit einem GPS-Punkt, sondern auch in meiner Erinnerung.  

Simone, meine liebe Freundin und Mitbewohnerin, ist am nächsten Tag mit ihrer Karte im Schuh nach Berlin gezogen.  

Heute ist Woche 2 der Selbstisolation daheim. Ich spiele weiter. Auf Karte 14 steht: „High five 5 strangers!”. Ich werde das online schon schaffen. Geht das mit der Raumplanung, Partizipation und Uni ja nun auch von daheim aus. Eine neue Mission für uns alle. Kreativ, mit Freude und gemeinsam geht das schon! 

Isabel Stumfol ist Raumplanerin, arbeitet an der TU Wien, im Planungsbüro stadtland und für verschiedene Projekte, in denen es sich um Partizipation, Kommunikation und den ländlichen Raum dreht. Der Text ist während des ersten Covid-19 Lockdowns im Frühling 2020 entstanden und wurde in zoll+ neu (Nr 36, Juni 2020) erstveröffentlicht. www.isabelstumfol.wordpress.com
www.sneakycards.com/

Alle Abbildungen: © Isabel Stumfol 2020

Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Wir freuen uns, wenn viele Menschen die Beiträge aus den zoll+ Heften lesen und ansehen – analog oder wie hier digital. Daher stellen wir ausgewählte Artikel, Interviews und Fotoessays auf dieser Onlineplattform gratis zur Verfügung. Doch für die Produktion eines Qualitätsjournals braucht es finanzielle Mittel. Unterstützen Sie zoll+ und helfen damit die Entstehung vieler weiterer, hochwertiger Beiträge zu sichern. Danke!

5,00 €