Das KUNST HAUS WIEN hat sich in den letzten Jahren zu einem Zentrum für Kunst etabliert, die sich mit Veränderungen unserer Lebenswelten, mit Eingriffen in Öko- und Soziosysteme und mit dem Menschen als einflussnehmende Größe auseinandersetzt. Wie das Kunst Haus zu einem solchen Themenschwerpunkt gekommen ist, wie die Ideen des Museums-Gründers Friedensreich Hundertwasser auch heute noch Einfluss auf das Programm nehmen und was das mit Landschaftsarchitektur zu tun hat erklärt Kunst Haus Wien Direktorin Bettina Leidl (BL) im Gespräch mit Stephanie Drlik (SD).

Der Artikel ist in Zoll+ /gesund erschienen. Lesen sie diesen und andere Artikel in der Österreichischen Schriftenreihe für Landschaft und Freiraum.

 

SD: Frau Leidl, wenn man sich das Portfolio der vergangenen Jahre anschaut, findet man im Kunst Haus Wien zahlreiche Werkschauen, die sich mit der Natur – Mensch Beziehung und mit diesbezüglichen Entwicklungen unserer Zeit auseinander setzen. Vergangenes Jahr haben sie das Anthropozän zum Themenschwerpunkt gemacht und konnten dafür repräsentative KünstlerInnen mit beeindruckenden Schauen gewinnen. Wie kam es zu diesem Ökologie – Schwerpunkt?

BL: Friedensreich Hundertwasser, der Gründer des Museums, ist im Kunst Haus omnipräsent. Schon wenn man sich dem Haus nähert sieht man die typische Architektur, die Baummieter, also die Bäume die aus den Fenstern und Nischen wachsen, man sieht die Begrünung im Innenhof und auf dem Dach, man stolpert über unebene Böden – das Haus ist einfach sehr stark von seinem Gründer und dessen Visionen geprägt. Hundertwasser hat das Kunst Haus als Museum für seine Sammlung, für seine Werke gegründet. Aber er hatte von Anfang an auch Ausstellungsräume für die zeitgenössische Kunst vorgesehen. Im Laufe der Jahrzehnte wurden darin unterschiedlichste Schauen gezeigt, unter ihnen auch große Namen der Kunst, wie etwa Andy Warhol, Keith Haring, Annie Leibovitz und viele andere. Seit 10 Jahren, also seit der Übernahme durch die Stadt Wien, liegt der Ausstellungsschwerpunkt auf der Fotografie.

Wien verfügt über zahlreiche hochkarätige Museen und Ausstellungshäuser und da stellt sich natürlich die Frage, wo setzt ein Haus wie das Kunst Haus Wien seine programmatischen Schwerpunkte? Als ich vor vier Jahren die Leitung des Kunst Hauses übernahm, habe ich aus Gesprächen mit BesucherInnen, vorallem mit dem jüngeren Publikum, mitgenommen, dass es gerade Hundertwasser und seine Visionen sind, die ein ausschlaggebender Grund für einen Besuch im Kunst Haus Wien sind. Daher haben wir uns überlegt, wie man im Ausstellungs- und Vermittlungsprogramm mit Hundertwasser und seinen Themen umgeht. Wo ist Hundertwasser heute noch aktuell und für wen?  Wie weit beeinflusst Hundertwasser noch heute die zeitgenössische Kunst und wo sind hier Verbindungen herzustellen? Welche zeitgenössischen KünstlerInnen setzen sich heute mit Fragen der Ökologie, der Nachhaltigkeit, mit dem Verlust der Biodiversität aber auch in Folge mit gesellschaftspolitischen Fragen auseinander? Das Museum Hundertwasser, also die permanente Sammlungspräsentation, befindet sich nach wie vor im Kunst Haus Wien, aber wir versuchen darüber hinaus in unseren Sonderausstellungen und im Fotografieprogramm Hundertwassers Themen aufzugreifen.

 

SD: Der Visionär Friedensreich Hundertwasser hat sich bereits vor vielen Jahrzehnten mit Fragen auseinandergesetzt, die uns heute auf Grund des globalen Wandels, aber auch hinsichtlich einer modernen Baukultur, gestellt werden. Seine Themen sind aktueller denn je.

BL: Hundertwasser ging es in seinem künstlerischen Wirken immer sehr stark um Ökologie. Seine Visionen, die er in den 1950er bis in die 80er Jahren formuliert hat, sind heute zu einem Teil unserer Gesellschaft und unseres Lifestyles geworden. Gerade in der westlichen Welt haben viele Menschen das Bedürfnis verantwortungs-  und respektvoll mit der Natur umzugehen und im Einklang mit ihr zu leben.

 

SD: Hundertwasser war mit seiner Arbeit definitiv ein Vordenker. Aber damals wurde er von den heimischen ArchitektInnen belächelt. Zu Zeiten als in der Planung noch das Auto die Grundrisse bestimmt hat, stellte er Forderungen wie etwa die Integration allgemein nutzbarer Grünflächen, Materialrecycling, Fassaden- und Dachbegrünung oder BürgerInnen-Partizipation. Planungsaufgaben, die in unserer zeitgemäßen Baukultur selbstverständlich mitgedacht werden müssen.

BL: In seinem ganzheitlichen und großen Denken hat er immer vordergründig die Natur einbezogen. Schon zu Beginn seiner Arbeit in den 1950er Jahren schrieb er das bekannte „Verschimmelungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur“ (1958). Daraus stammt auch die Formulierung der drei beziehungsweise fünf Häute des Menschen. Die erste Haut ist die Epidermis, die zweite ist die Kleidung die man trägt, dann folgen Architektur, Raum und Umwelt. Diese Ideen, die aus seinen frühen Schaffensphasen stammen, hat er aber auch später noch intensiv verfolgt. Das ist ja auch im Kunst Haus Wien zu erkennen und besonders hier in seiner ehemaligen Dachwohnung, in der wir uns gerade befinden, mit dem großen, fast schon bewaldeten Garten. Heute sind Dachgärten selbstverständlicher Teil der Architektur, doch zu Zeiten Hundertwassers war ein solcher Garten auf dem Dach noch außergewöhnlich – baukulturell, aber auch auf Grund der technischen Machbarkeit.

Hundertwasser hat in den 1950er und 60er Jahren Forderungen an die Architektur und den Städtebau gestellt, die damals neu waren, sich aber im Laufe der Jahre durchwegs bestätigt haben. In seinen Manifesten befasste er sich mit dem Menschen in seinem direkten Umfeld und plädierte für ein naturnahes, ökologisch ausgerichtetes Bauen mit integrierten Grünräumen. Er war für die Schaffung individueller Freiräume und für mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten der BewohnerInnen. Hundertwasser forderte Häuser, die Kommunikation zwischen den BewohnerInnen ermöglichen und fördern. Er hat dem damals vorherrschenden anonymisierten Wohnen in überdimensionierten Anlagen, das individuelle Recht zur eigenen Wohnraumgestaltung jedes Einzelnen entgegengestellt.

 

SD: Er war also nicht nur einer der ersten, der Themen der Ökologie und Nachhaltigkeit in die Architekturdebatte eingebracht hat, er hat auch einen menschlichen Maßstab gefordert. Das war aus heutiger Sicht sehr fortschrittlich, doch wie oft bei Visionären, war auch er nicht unumstritten. Warum gab es solche Vorbehalte von Seiten der damaligen Architektenschaft gegen seine Einmischungen?

BL: Er hat sich ganz dezidiert gegen vorherrschenden Paradigmen gestellt, etwa in seiner Proklamation „Los von Loos“ (1968) in der er sich gegen die Moderne und eine Architektur der Sachlichkeit im Stil Adolf Loos‘ aussprach. Und zu seinen Vorstellungen, man denke etwa an die grundsätzliche Ablehnung der geraden Linie, gab es eben wenig Berührungspunkte mit der Architektur dieser Zeit.

Hundertwasser war Künstler und hatte einen künstlerischen Zugang zu seinen Aufgabenstellungen. Seine architektonischen Arbeiten, so auch das Kunst Haus Wien selbst, sind in seinem Werkverzeichnis als Kunstwerke deklariert und so sind diese auch einzuordnen. Dennoch hat er sich sehr selbstbewusst in andere Fachbereiche eingemischt. Während seiner Zeit in Neuseeland in den 1990er Jahren etwa, hat er ein 400 Hektar großes Gelände erworben und intensiv an der Landschaft gearbeitet. Er fand eine von Landwirtschaft geprägte Kulturlandschaft vor und wollte diese in eine gewisse Ursprünglichkeit rückführen, sie der Natur zurückgeben. Dabei hatte er einen gestalterischen Zugang, der den Begriff der „ästhetischen Ökologie“ geprägt hat. Zu einem befreundeten Landschaftsarchitekten, Richard Smart, sagte er selbstbewusst: „Ich hätte auch Landschaftsarchitekt werden können.“ Dieser erwiderte nichts, dachte sich nur: „Du hättest aber keine Aufträge bekommen.“ (Anm. der Redaktion: vgl. Fleck 2016:144)

Er war eben eine Künstlerpersönlichkeit, in gewisser Weise sicher auch ein streitbarer Mensch, der sich gerne eingemischt hat. Und mit seiner Haltung hat er sich eben mit so manchem seiner Zeitgenossen aus Kunst und Architektur angelegt.

 

SD: Sich mit dem Establishment anzulegen und zu provozieren, das ist ja durchaus auch die Absicht vieler zeitgenössischer KünstlerInnen. Mit ihren Werken vermitteln sie ihre Botschaften und wollen aufrütteln.

BL: Kunst kann neue Zugänge aufzeigen, sie lässt uns Parallelen sehen und uns über globale Verfehlungen und Fehlentwicklungen nachdenken, die unsere Existenz bedrohen. Wenn KünstlerInnen Probleme unserer Zeit aufgreifen, hat ihre künstlerische Arbeit  oft eine direktere Wirkung auf die Menschen, als eine wissenschaftliche Abhandlung über die Ursachen. Der Zugang zu den Problemstellungen ist emotionaler und KünstlerInnen können Bilder schaffen, die dem Betrachter, der Betrachterin die Dringlichkeit der Themen vor Augen führt.

 

SD: Die Probleme unserer Zeit sind oftmals so überwältigend, dass man die eigene Beteiligung aus einer gewissen Überforderung heraus resignierend hinnimmt. Was kann ein Bild daran ändern?

BL: Kann Kunst das Klima retten? Natürlich nicht, aber die Kunst kann unsere Wahrnehmung schärfen und unsere Perspektive verändern. Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler verknüpfen ihre Kunst mit politischem Engagement und sie können uns mit ihrer Kunst aus der Komfortzone holen.

Mit ihrer künstlerischen Herangehensweise arbeiten sie gesellschaftspolitische Zusammenhänge heraus und regen den Diskurs darüber an.

SD: Das Anthropozän, das sich das Kunst Haus vergangenes Jahr zum Thema gemacht hat, wird als erdgeschichtliche Epoche definiert, in der das Einwirken des Menschen derart schwerwiegend ist, dass sich natürliche Abläufe auf globaler Ebene ändern. Der Mensch wird damit zu einer der massivsten Einflussgrößen unserer Zeit, ähnlich einer Naturgewalt, etwa einer Eiszeit oder einem Erdbeben. Ein Künstler, der die Ausmaße dieses anthropogenen Eingreifens besonders anschaulich darstellt, ist Edward Burtynsky.

BL: Edward Burtynsky setzt sich schon seit Beginn seiner Karriere, also seit den 1970er Jahren, mit dem Eingreifen des Menschen in die Natur und Landschaft auseinander. Seine ersten Arbeiten fotografierte er in amerikanischen Steinbrüchen. In seinem großen Zyklus zum Thema Wasser, den wir 2017 im Kunst Haus Wien gezeigt haben, geht Burtynksy in großformatigen Landschaftsaufnahmen darauf ein, wie die natürliche Ressource Wasser durch das unheilvolle Zusammenspiel von Städtewachstum, zunehmender Verbreitung der Industrie und Globalisierung langsam zur Neige geht.

 

SD: Man könnte sagen, Burtynsky ästhetisiert das Anthropozän, Naturkatastrophen und gesellschaftlich fragliche Entwicklungen des globalen Wandels. Ist das nicht eine Verharmlosung von schlimmen Entwicklungen?

BL: Burtynsky zeigt Bilder, die das Ergebnis menschlichen Einwirkens, Verschmutzens, Zerstörens sind und hinterfragt damit das menschliche Streben nach Wohlstandsmehrung, Wirtschaftswachstum, Konsum und Profitmaximierung, mithin die Auswüchse des Kapitalismus, und kritisiert ein Denken, das natürliche Ressourcen ausschließlich nach ihrem materiellen Wert bemisst. Seine Fotografien bestechen durch ihre feine Bildkomposition und magische Schönheit, andererseits geben sie aber auch Zeugnis von der durch den Menschen geplünderten und zerstörten Natur. Burtynskys Arbeiten sind sehr genau recherchiert. Mittlerweise arbeitet er auch mit Umweltorganisationen zusammen, die wissen, dass Burtynsky durch seine künstlerische Arbeit wiederholt Umweltvergehen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt hat und die sich daher mit ihren Anliegen direkt an ihn wenden.

 

SD: Seine Arbeit ist bereits weltweit etabliert. Wie sehen sie die Situation in der Kunst-Szene generell, wächst die Zahl der KünstlerInnen die sich mit Umweltthemen auseinandersetzen?

BL: Die Globalisierung, das Bevölkerungswachstums, der Rückgang des Regenwaldes, die großen Zerstörungen, die die Landwirtschaft auf der Erde anrichtet, sind Themen die von vielen Künstlerinnen und Künstlern in deren Arbeiten aufgenommen und kritisch hinterfragt werden.

Auch die Zahl der Museen, die sich, ähnlich wie das Kunst Haus Wien, dezidiert mit den Themen Kunst und Natur befassen, steigt. In Berlin macht das etwa das „Haus der Kulturen der Welt“, in Paris entsteht gerade ein Museum „Art and Nature“. Und ich denke, auch Wien ist mit dem Kunst Haus Wien sehr gut aufgestellt.

 

SD: Das sehe ich auch so. Auch für die Disziplin der Landschaftsarchitektur ist das Kunst Haus Wien mit seinen aktuellen Schwerpunkten von hoher Relevanz. Denn im Gegensatz zur Architektur, die österreichweit mittlerweile von mehreren Architekturhäusern vertreten wird, gibt es hierzulande kein eigenes Themenhaus der Landschaftsarchitektur. Der Ruf der Profession nach einem „Haus der Landschaft“ wird immer stärker, doch bis es soweit ist, ist die Landschaftsarchitektur, mit ihrem breiten Tätigkeitsspektrum darauf angewiesen, Inhalte in themen-nahen Häusern unterzubringen.

BL: Der Dialog zwischen Kunst und Landschaft generell, aber auch die Kunst im öffentlichen Raum, die Auseinandersetzung mit ästhetisch-kreativen Eingriffen in unsere Lebensräume und das gestaltende Steuern von Öko- und Soziosystemen, das alles findet bei uns Platz und wir werden das auch mit großer Freude künftig weiterführen.

 

SD: Wie kann man eigentlich als Museums Direktorin einen großen Namen wie Edward Burtynsky toppen? Was erwartet uns in den nächsten Jahren im Kunst Haus Wien zu den besagten Schwerpunktthemen?

BL: Mit den Ausstellungen der vergangenen Monate lag der Schwerpunkt klar auf den Themen Natur, Ökologie, Fotographie. Neben Edward Burtynsky haben wir etwa auch Iris Andrascheks „Sekundäre Wildnis“ und ihre Beobachtungen und Untersuchungen zum Umgang mit der Natur gezeigt, hauptsächlich bei Ökobauern im Wald- und Weinviertel fotografiert. Dann hatten wir „Visions of Nature“ im Programm, auch hier waren das Verhältnis des Menschen zur Natur und der permanente Wandel, dem diese Beziehung unterliegt, das Thema mit dem sich unterschiedliche KünstlerInnen auseinander gesetzt haben. Zurzeit zeigen wir die aktuellen Arbeiten des österreichischen Künstlers, Filmemacher und Aktivist Oliver Ressler. Ab April ist Jochen Lempert mit seinen minimalistischen Tier- und Naturphotographien im Kunst Haus Wien zu sehen.

Im Sommer 2018 geht es spannend weiter. Resanita, das Künstlerinnenduo Anita Fuchs und Resa Pernthaller, beschäftigt sich mit temporären Eingriffen in den urbanen Raum, mit nomadischen, kollektiven Prozessen und unterschiedlichsten Formen der Nature Art. In ihrem neuen Projekt, an dem sie bereits seit dem vergangenen Jahr arbeiten, nehmen sie das Kunst Haus unter die Lupe und analysieren das „Haus als Wirt“ in Bezug auf dessen Flora und Fauna. Sie vergleichen ihre Ergebnisse auch mit den Aufzeichnungen Hundertwassers und zeigen, was sich 27 Jahre nach seinen Interventionen im Kunst Haus angesiedelt hat, zugeflogen und aufgegangen ist. Wir haben also auch künftig einiges zum Ökologieschwerpunkt vor.